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Franz Sommerfeld

Franz Sommerfeld
Franz Sommerfeld
Beim Mittagessen
Beim Mittagessen
Vor dem brennenden Kirchturm (1978)
Vor dem brennenden Kirchturm (1978)
Weihnachten
Weihnachten

Erinnerungen von Gertraude und Friedel Heinecke,
aufgezeichnet von Dr. Martin Heinecke im Januar 1998

Franz Sommerfeld kam am 26. September 1899 in Wartenburg, Kreis Allenstein, Ostpreußen zur Welt. Mit 15 Jahren - also zu Beginn des 1. Weltkriegs - wurde er Kutscher bei einer Bahnspedition. Dort war er bis zur Flucht 1945 tätig. Im Treck mit Firmenangehörigen erreichte er kurz vor Kriegsende Eutin in Schleswig-Holstein. War es ihm bis jetzt in zwei Kriegen mit Hilfe seines Chefs gelungen, nicht zum Militär eingezogen zu werden, erwischte es ihn nun doch noch, und er geriet für ein paar Wochen in Gefangenschaft. In Munsterlager wurde er unmittelbar nach Kriegsende entlassen. So verschlug es ihn in die Heide. In Eschede landete er kurz vor der Ernte zunächst auf dem Hof Niemann (Lädding) in "Klein Habighorst".

Bald darauf wechselte er zu Lütje-Heinken, wo er seine eigentliche Lebensstellung fand - allen ursprünglichen Unkenrufen zum Trotz, denn Otto Heinecke senior bölkte seine Leute schon mal an. Hier, in der Markt- bzw. Albert-König-Straße, blieb er bis zu seinem Tod.

Franz Sommerfeld war ein großer Schweiger. Wenn er allerdings etwas zu tief ins Glas geguckt hatte - was er in jüngeren Jahren öfters tat - löste sich seine Zunge, und er erzählte von früher: "Dreymol stand ich uff der Säuferliste..." und "Eynmol hob ich eyner `n Kind jemacht. Da hab' ich'n Meyneyd jeschwor'n, und denn war jut". Überhaupt hielt Franz nicht viel von der Verwandtschaft. Auf Briefe seiner Schwester die in den Fünfzigerjahren seine Adresse ausfindig gemacht hafte, reagierte er nicht. Kommentar: "Die woll´n doch nur an meyn Jeld...". Noch in den Sechzigern kämpfte Franz mit dem Alkohol.

Gelegentlich nahm ihn der "Lange Gries" mit auf seine Ausflüge ins Celler und Braunschweiger Nachtleben. Schließlich gab es einmal bei Café Müller kräftig welche auf die Mütze. Ein riesengroßes Veilchen verzierte sein Gesicht. Danach betrat er nie wieder eine Kneipe und mied den Alkohol. Ebenso konsequent gab er etwa zehn Jahre später auch das Rauchen auf, als er das Gefühl hatte, es bekomme ihm nicht mehr.

Der schnellste Arbeiter war Franz nicht, aber seine Ehrlichkeit und Beständigkeit zeichneten ihn aus. Seine Welt waren die Tiere: erst die Pferde, später dann Tauben, Hühner und schließlich die Kälber. Im Laufe der Jahre gab Franz nach und nach seine Pflichten auf dem Hof ab, und die Milchbank an Heineckes Missendör wurde sein bevorzugter Aufenthaltsort. Hier hatte man alles vom Kirchplatz bis zur Kreuzung gut im Blick. Oft gesellte sich dann Rudi dazu (Na der Rudimiller!...) und überbrachte das Neueste vom Tage. Sonntag nachmittags konnte man beide auch beim Fußball treffen - allerdings nicht auf dem Jahnplatz, sondern hinter dem Zaun, an der Stettiner Straße. Als der TuS später in den Brunshagen umzog und einen Sichtschutz montierte, konnten Leute unter 1,80 m von der Straße aus dem Spielbetrieb nicht mehr folgen. Nun leisteten sich Franz und Rudi endlich Eintrittskarten. Erst in den späten siebziger Jahren sah man Franz und Rudi an der Kreuzung, und irgendwann komplettierte der "Lange Willi" das Escheder Dreigestirn.

Als alter Ostpreuße war Sommerfeld nie krank. Er mied alle Süßspeisen. Am liebsten aß er Kartoffeln. Hiervon konnte er noch im biblischen Alter Berge verdrücken. Seine Lebensführung war sehr anspruchslos. In der Kammer neben dem Pferdestall befand sich sein kleines Reich. Nie hatte er einen Fernseher; sein Radio, die Uhrensammlung und sein Geld, das er wohlgeordnet in einer Keksdose verwahrte, genügten ihm, den Feierabend zu gestalten. Der größte Schock seines Lebens traf ihn, als er eines Morgens in den Siebzigern feststellte, dass jemand seine gesamten Ersparnisse aus der unverschlossenen Kammer gestohlen hatte. Erst jetzt durfte ihm Friedel Heinecke ein Bankkonto einrichten - Franz, der noch die Inflation anno 23 erlebte, hatte das bisher stets abgelehnt. Dem Briefträger tat es leid, dass er die Rente nun nicht mehr bar zustellen konnte, denn mit dem Trinkgeld war Franz nicht kleinlich.

In den letzten Jahren bekam Franz zu seinem Geburtstag regelmäßig Besuch von der katholischen Kirche, aber auch im Alter konnte ihn nichts bewegen, einmal zum Gottesdienst zu gehen.

Nach seinem 91. Geburtstag schließlich wurde Franz dann doch krank. Er starb nach einigen Wochen am 7. November 1991. Könnte man ihn heute auf den Rummel ansprechen, der um seine Person gemacht wird, würde er wohl "Na, Hol der Deybel, diese Indioten, verrickte!..." murmeln und den vorbeifahrenden Autos nachblicken, die Hände in den Taschen der Manchesterhose, die grüne Mütze in die Stirn gezogen, und sich seinen Teil denken.