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Willi Gries

Willi Gries
Willi Gries
Einschulung von Willi Gries
Einschulung von Willi Gries
Hermann Gries und Verlobte Alma Sonemann
Hermann Gries und Verlobte Alma Sonemann
Trauerzug am Osterberg vor dem Konfirmandensaal, 1959
Trauerzug am Osterberg vor dem Konfirmandensaal, 1959

Biographische Notizen von Klaus Drögemüller
Nach einem Gespräch mit Inge Rogosinski am 5.1.1998

Nicht nur der Körpergröße verdankte der "Lange Gries" seinen hohen Wiedererkennungswert. Spätestens als Willis markantes Heidjer-Konterfei Mitte der Achtziger auf der Titelseite des Fremdenverkehrsprospektes erschien, war er zum Aushängeschild Eschedes geworden. Vielen gefiel das überhaupt nicht eingedenk seines chaotischen Lebenswandels...

 

Seine Großeltern Georg und Dorothea Gries, aus Metzingen und Bargfeld im benachbarten Kirchspiel Eldingen gebürtig, siedelten sich um die Jahrhundertwende in Eschede auf der von Maurermeister Behrens begründeten Abbauerstelle Eichenstraße 41 an. Wie bei den Vorfahren von Rudi Müller dürfte Eschedes damals herausragender Ruf in der Region als schnell wachsender Bahnstandort mitgespielt haben. Während die alten Gries als arbeitsam und bescheiden beschrieben werden, zeigen sich bei ihrem Hoferben Hermann, Jahrgang 1899, jene Anlagen, die sich in dritter Generation bei unserem Willi noch ausgeprägter in Richtung Dorforiginal entwickeln. Vater Hermann, verheiratet seit 1929 mit Alma Sonemann aus Langlingen, hielt nicht sehr viel von Arbeit. Mutter Alma war in der Erinnerung ihrer Verwandten herzensgut, arbeitete und ärgerte sich halbtot.

Weil die Kleinbauernstelle zum Leben und Sterben nicht reichte, hielten sich sowohl Vater Hermann als Sohn und Hoferbe Willi Gries mit Lohnfuhren über Wasser. Sie hatten sich auf Bauholztransporte spezialisiert - und auf das Fahren des Escheder Leichenwagens. Viele örtliche Anekdoten und Legenden ranken darum. So soll es ein nächtliches Wettrennen zweier solcher eisenbereifter und pferdebespannter Leichenwagen mit dem Konkurrenten Kruse von der Bauernsiedlung gegeben haben. Manche haben noch heute den Donnerhall vom Kopfsteinpflaster der Bahnhofstraße im Ohr.

Präzise überliefert ist folgende Geschichte: Bei Quindel in der Bahnhofswirtschaft hatte man kräftig einen getankt. Kripomann Herbert G. war nicht mehr gehfähig. Wie von der Tarantel gestochen raste Willi nach Hause, spannte den Leichenwagen an und jagte mit dem schwarzen Fuhrwerk durchs Dorf, dass die Funken stoben - Vater Hermann auf dem Fahrrad laut gestikulierend hinterher. Erst nach großem Palaver ließ Gries von seinem makabren Plan ab. Dies mag eine Schlüsselszene aus dem Leben der beiden Gries gewesen sein. Oft gingen sie getrennte, ebenso häufig aber auch gemeinsame Wege. Kneipen und andere Etablissements der Heideregion hatten es ihnen angetan: Im "Teufel", "Hinter den Höfen" in Celle oder in der Uelzener "Oase" ließ man die Puppen tanzen.

Willi genoss dort überall einen mörderischen Ruf, weil von der Natur großzügig ausgestattet. Das konnte schon mal 'ne Kuh kosten, was dann in der Tat gelegentlich zu Notverkäufen an Viehhändler Müller und daraus resultierenden Handgreiflichkeiten zwischen Vater und Sohn führte.

In den Fünfzigern bestand wohl noch Aussicht, dem Junior geordnete Wege zu bahnen. Eine Braut aus dem Lüneburgischen war im Gespräch, und als Handlanger bei Maurermeister Herbert Obst kam halbwegs regelmäßig etwas Geld herein. Wenn er denn wollte, konnte der "Lange Willi" nämlich ordentlich arbeiten und war, wie immer wieder zu hören, durchaus clever auf seine Art. Es fehlte jedoch zeitlebens an Vorbildern und Führung. Spätestens nach dem Tod von Mutter Alma 1973 nahmen Alkoholexzesse und Verwahrlosung dramatisch zu. Jagdpächter Eggen lieh den bewährten "Obertreibern" Hermann und Willi Geld. Abhängigkeiten wuchsen. Eines Tages war der Hof nicht mehr zu halten.

Vater Herrmann starb 1980. Es blieb für Willi nur ein dürftiges Wohnrecht im Elternhaus. Im Frühjahr 1986 stand das gesundheitliche Ende ebenfalls bevor. Nach Krankenhausaufenthalt schien eine Heimeinweisung nach Weyhausen ohne Alternative. Aufgrund von Beratungen im örtlichen Verwandtenkreis übernahmen die Cousinen Inge Rogosinski und Reinhild Gries spontan Willis Betreuung. Seine Verhältnisse begannen sich zu konsolidieren, man sah den "Langen" jetzt ständig auf der Kreuzung, nie ohne seinen treuen Begleiter "Lümmel".

Clever genug, den beginnenden Kult um die "Drei" als späten Triumph zu begreifen, bekam sein Blick altersweise Züge. Als Zaungast bei den drei schon heute legendären Heide(n)spektakeln bewegte er sich als Weltbürger zwischen vielen illustren Gesichtern. Nach kurzem Krankenhausaufenthalt kam dann doch bald sein Ende: Am 1. Oktober 1992 verstarb Willi Gries im 61. Lebensjahr. Er wurde in Sichtweite des Elternhauses auf dem Escheder Friedhof begraben - nur mäßig betrauert von seinen Zeitgenossen.