Es sei vor erdenklichen Zeiten alles ganz friedlich zugegangen. Niemals wäre Streit vorgefallen und die Hirten hätten einträchtig beieinander am Feuer gesessen - vor den blutigen Auseinandersetzungen. Das jedenfalls bezeugten Hans Müller aus Hohnhorst, Schweinehirt Hans Heine aus Celle und Carsten Bührung aus Höfer. Auch sei es wahr, dass die Junker zu Eldingen ihre Schweine seit Menschengedenken in den Steinhorster Holzungen herum allemal zu Mastzeiten gehütet und die Mast mit genossen und das die sämtlichen Eingesessenen der Dorfschaften Eldingen, Metzingen, Wohlenrode, Bargfeld, Oesingen, Räderloh, Mohrmühlen und so weiter dergleichen getan haben. Auch wahr sei, dass diese nicht nur in einem gewissen Holze, sondern durchgehend in der ganzen Steinhorster Holzung hüteten. In Wahrheit schwelte aber der Streit um das Weiderecht zumindest seit den 3Oer Jahren des 17. Jahrhunderts und wurde wohl verschärft durch die Waldverluste, die während des 3Ojährigen Krieg entstanden. Zunehmend wurden Advokaten, Ämter und Vogteien mit der Frage der Mastberechtigung in den Steinhorster HuIzungen beschäftigt. Am 10. Oktober 1638 befehligte das Fürstliche Amt Gifhorn den Vogt zu Steinhorst erneut, den Einwohner daselbst bei Strafe von etlichen Reichstalern anzubefehlen, die Oesinger unbehindert in den Holzungen bei und um Steinhorst ihre Schweine hüten zu lassen und sie keineswegs zurück zu treiben, wenn es ihnen lieb sei, die Strafe zu vermeiden. Zwei Jahre später benachrichtigte ein Eldinger seinen Gutsherrn von der Wense, das die Steinhorster an einem Sonntagmorgen ihre Schweine zur Mast in eine Holzung zwischen Eldingen und Bargfeld getrieben hätten. Ob dieser tätlichen und, wie er meinte, hochstrafbaren Verfahrensweise verfiel der Gutsherr in großen Unmut und in Verwunderung. Hatten die Steinhorster die Gemütsmeinung, sich die Mastung allda mit anzumaßen? De facto war das aus seiner Sicht ein Eindringen, über das er sich umgehend beim Vogt zu Steinhorst beschwerte. Diese Holzung stand denen von der Wense und von Eldingen eigentümlich zu - nur die von Oppershausen und die Dorfschaften Eldingen und Bargfeld, sonsten aber niemand mehr, hatten dort das Recht zur Hutung und Weide, und das war nun schon seit 10, 20, 30, 40, 50, ja 100 und mehr Jahren so - so lange, wie sich einiges Menschengedenken erstreckt. In ruhiger Possession hatte diese Holzung bislang vor den Steinhorstern und anderen bestanden. Die Steinhorster werden das als ungerecht empfunden haben: Da kamen die Einwohner der umliegenden Ortschaften mit ihren Schweinen in ihren Wald - umgekehrt durften sie in anderen Holzungen nicht die Mast mit genießen. Aber die Steinhorster mussten doch auch für ihre eigenen Schweine sorgen. Es ist verständlich, dass deshalb der Streit um die Weiderechte nicht abriss. Etwa 1655 inspizierte eine eigens eingesetzte Kommission des Amtes Gifhorn den sogenannten Balken, eine Holzung zwischen den Ackerländereien. September 1661 meldete der Prediger Johan Monardt aus Oesingen, dass die Steinhorster wegen der Schweinemastung abermalen Streit angefangen haben. Am Abend vor Michaelis und selbst am Morgen dieses heiligen Festtages haben sie mit Äxten und Beilen bewaffnet mit Gewalt die Oesinger Schweine aus dem Steinhorster Holz gejagt und geschlagen, so dass deren etliche verwundet und etliche krank liegen und nicht fressen wollen. | | |
Die Steinhorster werden sich im Recht gesehen haben, die Oesinger Schweine zu vertreiben, sie haften schließlich beim Amte Gifhorn eine Klage gegen die Oesinger wegen der Mastberechtigung laufen, da für sie ansonsten keine sonderliche Mastung vorhanden sei. Umgekehrt klagten aber auch die Oesinger gegen die Steinhorster wegen ihrer tradierten Ansprüche in den Steinhorster Forsten. Sieben Jahre später sollte aber der Streit um die Weideberechtigung eskalieren: Am Anfang stand die Mitteilung des Eldinger Gutsherrn von der Wense an den Vogt zu Steinhorst, die Eldinger beanspruchten weiterhin die Mastung im Nachbargebiet. Der Vogt dazu meinte, nicht der von der Wense habe ihn zu lehren, sondern sich nach dem zu richten, was aus dem Amt oder der Kanzlei Gifhorn käme. Über das, was nun geschah, berichtete Johann Julius Egidius seinem Gutsherrn von der Wense am 5. Oktober 1668 folgendermaßen: Nachdem auf das Schreiben an den Vogt zu Steinhorst die Hofmeister nebst der Dorfschaft Eldingen gestrigen Tages frühe - also am 4. Oktober 1668 - die Schweine in die Mastung nach Steinhorst getrieben, haben die Bauern daselbst sie mit Gewalt zurückgejagt. Als dann aber nach geendigter Predigt Mann bei Mann von Eldingen sich aufgemacht, auch die Bargfelder und Metzinger mit sich genommen und die Schweine wieder in die Steinhorster Holzung hingetrieben haben, ist ganz Steinhorst mit Manns- und Weibspersonen angelaufen gekommen. Nach heftigen Worten habe es dann dermaßen Schläge gegeben, dass von den Eldingern, Bargfeldern und Metzingern nicht wenige beschädigt nach Hause gekommen seien. Jürgen Michels und Andreas Wiedtfeldten seien die Köpfe entzwei geschlagen und des Landtdrost Hofmeister Henni und Franz Michels seien dermaßen mit großen Stangen und Prügeln abgeschmiert worden, dass sie fast keinen Arm mehr regen noch bewegen können. Auch soll der Henni Michels um den Leib herum sehr geschwollen sein. Es soll dem Vogt zu Steinhorst an dem Streit viel Schuld gegeben worden sein, weil er unterschiedliche magere Schweine gekauft habe und angeblich die Mastung also für sich zu betreiben, und somit den Willen habe, seinen Vorteil zu stiften. Was Johann Julius Egidius wohl noch nicht wusste, jedenfalls in seinem ersten Bericht an den Gutsherrn nicht erwähnte, war die Tatsache, dass infolge des Streites sogar ein Mann zu Tode kam. Unmittelbar nachdem nun der Gutsherr von der Wense einen Brief an den Beedenbosteler Vogteibeamten mit Überlegungen zum Gang der Ermittlungen aufgesetzt und versiegelt halle, bekam er postalische Nachricht, dass die Steinhorster den Jürgen Michels aus Eldingen als Täter angeben haben sollen. Der Vogt zu Beedenbostel habe bereits Befehl empfangen, denselben nach der Vogtei holen zu lassen. Michels Henni und Franz boten nun den Gutsherrn um Hilfe, weil Jürgen Michels unschuldig sein sollte. Nicht dieser, sondern Heinrich Sebelow aus Metzingen habe den Schlag getan, der zum Tode des Mannes führte. Mittlerweile hatte auch der Gifhorner Amtmann Christian Möller die Untersuchungen begonnen. Die Vernehmung der Steinhorster ergab ein anderes Bild der Schlägerei vom 4. Oktober, als es der Eldinger Johann Egidius gezeichnet hatte. Danach seien die Einwohner der drei Orte Eldingen, Metzingen und Bargfeld mit langen Stöcken, Prügeln sowie Steinen in den Taschen‚ auch teils mit Beilen und Hellebarden bewaffnet, mit ihren gesamten Schweinen in das sogenannte große Holz bei Steinhorst und in die "Balken" genannte Holzung gekommen. Sie haben sich dann vor das Dorf Steinhorst gestellt und zum Streit bereit gehalten. Die Steinhorster seien vor das Dorf gekommen, aber weil sie zahlenmäßig viel zu unterlegen gewesen seinen, haben sie sich auf einen Streit nicht einlassen wollen. Sie seien lediglich zu den Schweinen gegangen, um sie aus den Holzungen zu vertreiben. Darauf seien die anderen auf sie los gegangen, haben eine Weibsperson geschlagen, auch Jacob Gaeß und dem Hinrich Wintzen haben sie ein Beil gegen den Leib geworfen. Die Steinhorster haben sich wehren müssen. Eine große Schlägerei sei zwischen Michels aus Eldingen und Jürgen Gaes entstanden. Auf boshafte und tückische Weise habe dann der Jürgen Michels dem Jürgen Gaes von hinten mit einem Baum so auf den Kopf geschlagen, dass dem Gaes das Blut aus dem Halse und aus den Ohren floss. Ernst Grupe habe am dichtesten dabeigestanden und deshalb das Ganze genau gesehen. Er habe dann auf den Jürgen Michels zurückgeschlagen. Der Leichnam des tödlich getroffenen Jürgen Gaes wurde vom Feldscher Nikolaus Ernst Schmidt aus Wienhausen untersucht. Schmidt stellte fest, Gaes habe an der rechten Schädelseite einen solchen Schlag abbekommen, dass der Hirnschädel fast einen Daumen dick eingedrückt sei und man mit dem Daumen in den Schädel hineinfühlen könne. Das rechte Auge sei aus dem Kopf getreten und von dem geronnenen Blut ganz schwarz gewesen. In der Mitte sei der Hirnschädel ganz entzwei gewesen. Der Feldscher habe eine Ader geöffnet und festgestellt, dass Gaes Blut mit Eiter gemischt gewesen sei, also müsse Gaes Gehirn verletzt und eitrig geworden sein. Dieser Mensch sei unmöglich wieder zu kurieren gewesen. Unter Totschlagverdacht stand nun Jürgen Michels aus Eldingen. Aber der beteuerte seine Unschuld. Als der Beedenbosteler Vogt den Haftbefehl ausführte, ließ er vorsichtshalber Michels Hof umstellen, um ihn so an einer Flucht zu hindern. Aber Jürgen Michels trat sofort aus dem Haus heraus und folgte ohne Widerstreben dem Beamten. Er erbot sich sogar, andere Bauern zu benennen, die für ihn bürgen wollten. Und in der Tat hielten seine Freunde und Dorfnachbarn, ja auch Bauern aus den anderen Dörfern, geschlossen zu ihm und sie waren bereit, für ihn mit ihrem Hab und Gut zu bürgen, denn sie waren von seiner Unschuld überzeugt. Aufgrund dieser Unterstützung und der Tatsache, dass sich der Totschlagsverdacht nicht länger aufrecht erhalten ließ, wurde Jürgen Michels am 9. November 1668 aus der Untersuchungshaft entlassen. Die weiteren Untersuchungen über den Totschlag erstreckten sich ins folgende Jahr hinein, aber sie verliefen im Sande. Ernst Grupe blieb bei seiner Aussage, dass Jürgen Michels von hinten den Jürgen Gaes mit einem Baum geschlagen habe, allerdings, so ergänzte er jetzt, sei außerdem Hinrich Sebelow (Severloh) aus Metzingen ganz nah dabei gewesen, der den Gaes mit einem großen Prügel geschlagen habe. Und der 66 jährige Baltzer Grupe sagte aus, dass nach Jürgen Michels noch Hinrich Severloh den Gaes geschlagen habe, der erst danach umgefallen sei. Dieser Hinrich Severloh (Sebelow) soll kurz nach der Schlägerei auf Nimmerwiedersehen verschwunden sein. War er der Täter? Das konnte anscheinend nicht mehr rechtskräftig ermittelt werden. Es blieb noch der Streit um die Mastberechtigung in den Steinhorster Forsten. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zogen sich über Jahre hin, und abschließende Ergebnisse weisen die Akten der Zeit nicht aus. Möglich ist, dass die verbindlichen Rechtsgrundlagen und Eigentumsfragen erst mit den Landreformen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts - den General- und Spezialteilungen und Verkoppelungen - eindeutig geklärt wurden. Verwendete Quellen: -
Gutsarchiv v. d. Wense. In: Samtgemeindearchiv Lachendorf, L2 Nr. 88, 94, 159 -
AdoIf Meyer: Kampf um Hüt- und Weiderechte auf dem "Balken" bei Steinhorst. In: Sachsenspiegel (Cellesche Zeitung) -
Buch von Förster Delf
|