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MARION GÜLZOWS PHOTOAKTION "PAARWEISE"

von Jörg . Gronius

Seit Jahren arbeitet die hannoversche Künstlerin Marion Gülzow in und mit der Landschaft der Südheide. BÜROLANDSCHAFT hieß ein Werk, das sie 1992 zum ersten Mal in Frankfurt am Main gezeigt hat: Photos von Bargfelder Zaunpfählen als Rückenschilder von Leitz-Ordnern. 1992/1993 ließ sie jene Leipziger Straßenlampen, die sämtliche Grenzen, Auto- und Schienenwege östlich der Elbe bis nach Wladiwostok beleuchtet hatten, aus dem Kartoffelacker wuchern wie mutierte Pilze. Die Ton-Dia-Schau "ELDINGEN BEI NACHT" entstand 1995 zur 750-Jahr-Feier des Ortes: der Ablauf eines Jahres in Eldingen, dokumentiert in Nachtaufnahmen.

Alle Arbeiten der Künstlerin sind ortsgebunden. Ob in Berlin, Brüssel, Hannover, Hamburg oder Frankfurt, ob in der Synagoge von Schlüchtern, im Pavillon des Hermannshofes, im Schloss von Bad Pyrmont oder im Tresor der ältesten Bayerischen Privatbank - Marion Gülzow ist dem Geist des jeweiligen Ortes auf der Spur, der den Schauplatz für ihre Arbeit bilden soll. Und sie findet ihn immer. Mehr noch: sie setzt ihn frei, holt ihn aus dem Verborgenen ans Licht und leiht ihm in ihrem Kunstwerk Dasein.

Das künstlerische Medium van Marion Gülzow ist die Installation.    Eine Installation im künstlerischen Sinn ist eine räumliche Collage. Eine Collage ist ein Bild aus vorgefundenem Material: Gebrauchsgegenstände, Schrott, Müll, bedrucktes Papier aller Art. Kurt Schwitters und Marcel Duchamp haben in den 20er Jahren diese Kunstform begründet..

Bei der Photo-Aktion von Marion Gülzow an der Grenze zwischen Eldingen und Steinhorst haben wir es mit einem weißen Stuhl zu tun. Auf den ersten Blick ein schlichter weißer Stuhl, vielleicht aus einer Küche geliehen, stabil, einfach in der Form, stillos. Aus der Nähe, spätestens beim Draufsitzen, offenbart er sich als Kunstgegenstand im ganz buchstäblichen Sinn des Wortes: er wurde künstlich hergestellt, zum Gebrauch ausschließlich für die Kunst bestimmt.

Der weiße Stuhl ist Installation und Requisit zugleich. Und als Requisit dient er einer Premiere. Denn es ist das erste Mal, dass Marion Gülzow mit ihrer Installation eine Aktion verbindet. Ja, es ist viel mehr eine Aktion als eine Installation, denn der Gegenstand wird nur zum Zweck der Aktion installiert; obendrein ist er beweglich und kann von jedem Teilnehmer der Aktion in eine gewünschte Position gestellt werden.

Die Aktion ist das Kunstwerk. Hier werden nicht Photographien als Kunstwerke produziert. Die Photographien - alten Repräsentationsposen von Hochzeitspaaren nach-empfunden - bleiben als Dokumente der Kunst-Aktion zurück.

Wer sitzt auf einem weißen Stuhl im Wald? Sucht das Küchenmobiliar aus der Enge des Hauses unter dem hohem Himmel Zuflucht? Hat es sich dort gereckt, gestreckt und endlich zu der Größe ausgerichtet, die ihm zukommt? Oder haben sich die Bäume ringsum in eine Küchentapete verwandelt? Haben wir noch festen Boden unter den Füßen des weißen Stuhls? Ist drinnen draußen oder draußen drinnen? Was ist das für ein Wald, in dem man paarweise auf einem weißen Stuhl sitzt?

Vor drei Jahren hat Marion Gülzow dem Stuhl in seinen unterschiedlichsten Variationen eine Ausstellung gewidmet: IM AN-SITZ. 1995 in der Galerie 13 in Hannover. Im Mittelpunkt stand eine Installation, bestehend aus vier weiß angestrichenen Kinderstühlen vor jeweils vier Großphotos von Hochsitzen. Die Kinderstühle werden im Alltag dazu benutzt, kleinen Kindern, die noch Halt brauchen beim Sitzen, den Blick auf den Tisch, an dem die Erwachsenen sitzen, zu ermöglichen. Die Hochsitze kennen wir aus dem Wald: Jäger harren hier - eine Zigarre gegen die Mücken, einen Flachmann zum Wohlbefinden dabei - auf das Wild. In beiden Fällen dient das erhöhte Sitzen dem Schauen. Zum Sehen geboren: von Kind an bis ins hohe Alter müssen wir zusehen, dass wir gut dastehen. Wer seine Umwelt nicht beobachtet, ist bald weg vom Fenster.

Der weiße Stuhl im Wald zwischen Eldingen und Steinhorst bietet Platz. Doch der Mensch ist ja nicht allein. Er sucht sich Partner. Gemeinsam geht es besser. Aber Gemeinsamkeit zwingt zum Teilen. Und die Möglichkeiten des Teilens sind nahezu unendlich. Wer sagt denn, dass es immer halbe/halbe sein muss?.

PAARWEISE haben wir vieles: Socke, Schuhe, Würstchen, Zwillinge. Da gehören zwei zusammen, und es gibt sie gar nicht anders. Paare, die sich finden, erklären sich zusammengehörig. Sie können sich wieder vereinzeln, oder sie werden von außen getrennt. Solche Paare sind - zumindest potentiell - vorübergehend. Sie sind genauso ephemer wie eine Kunst-Aktion. Was bleibt, sind Erinnerungen, Photos. Ein Ort als friedlicher Treffpunkt. Ein weißer Stuhl in einem Wald an einer Stelle, wo es vor 330 Jahren eine wüste Schlägerei gegeben hat...