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VOM DICKEN BALKEN INS NÄCHSTE JAHRTAUSEND

"Wir leben in einer Welt, die zu erkunden wir noch nicht gelernt haben.
Wir müssen neu lernen, den Raum zu denken."
M. Augé

Die Suche noch Zukunft rings um Eschede bleibt spannend. Keine hundert Tage vor der Jahrtausendwende, wenige Monate vor dem Einzug des Euro in unsere Portemonnaies, eher zufällig am Erntedanktag und zum zehnten Jubiläum der Deutschen Wiedervereinigung, soll uns der Zehnmarkschein-Mann Gauß in Aufbruchstimmung versetzen. Oder wenigstens nachdenklich stimmen. Ausgerechnet am Scharnhorster Berg, mitten zwischen Hochspannungsmasten, Funk- und Mischtürmen, Splitthaufen, Erdkratern und Beregnungsbrunnen? Was um alles in der Welt ist magisch an diesem Fleck, der im denkwürdigen Kontrast zum Heideklischee steht?

Ich weiß bis heute nicht, wo mir der Begriff Magische Orte das erste Mal begegnete. Wahrscheinlich war es beim hannoverschen Dorferneuerungs-Guru Professor Landzettel. Der philosophierte in den späten Siebzigern über 0rte des ersten Erkennens und andere schwer faßbare Phänomene: Die Gestalt von Haustürklinken, Baumtoren, Augen eines Hauses. In seinem Standardwerk "Ländliche Siedlung in Niedersachsen" von 1981 schreibt er: "Bei der Betrachtung einer Landschaft fallen mitunter topografische Formen und Situationen auf, die offenbar eine besondere Rolle spielen. Gemeint "magische Orte", die den Menschen bewegen, weil sie eine geheimnisvolle Wirkung ausstrahlen. Man bekommt Sehnsucht danach, diese Punkte aufzusuchen oder spürt das Unheimliche, das solche Orte meiden läßt.

Für die Ansässigen knüpfen sich oft mündliche Überlieferung und Jugenderlebnisse an diese Stellen... "Dieses "Aha-Erlebnis" verortete ich damals unbewusst am "Dicken Balken" an der Scharnhorst-Escheder Grenze. Als Kinder erlebten wir hier das tragische Ende des Motorradfahrers Noltemeyer im Birkenbusch - und entdeckten die geheimnisumwitterte Hainbuchenlaube in der späteren Mischwerkskuhle als Lieblingsspielplatz. Hasentreibjagden blieben ebenso haften wie Heckenrodungsaktionen, gewaltige Gewitter und heftige Sandstürme. Mein ganz persönlicher magischer Ort schien den Bach runter zu gehen.

Inzwischen ist wieder Land in Sicht. Der Lebensraum Scharnhorster Berg/Dicker Balken hat scheinbar Zukunft. Während sich auf beiden Seiten neue Häuser In die Feldmark schieben, während mancher in bester Absicht begangener Frevel an Landschaftsbild und Natur durch ein freiwilliges Flurneuordnungsverfahren ausgebügelt oder wenigstens kaschiert werden kann, hat sich eine neue Zeit herangepirscht. Sichtbar wie kaum an einem anderem Punkt unserer Region begegnen und überlagern sich am Scharnhorster Berg drei Menschheitsepochen auf engstem Raum:

Vom südlichen Horizont schickt Alps' Schafstall letzte Grüße des untergegangenen Agrarzeitalters. Das Mischwerk als Wahrzeichen der industriellen Revolution steht noch mittendrin, aber die beiden Funktürme am Wasserwerk beherrschen schon die Szene. Sie senden unübersehbare Signale in alle Himmelsrichtungen: Die Kommunikationsgesellschaft nistet sich unaufhaltsam ein in unseren Häusern und Köpfen. Und über diesen drei Symbolträgern und vielen anderen - weniger gut erkennbaren - Dreiecken am Dicken Balken schwebt nun auch noch der Geist von Gauß. Wiederentdeckt 177 Jahre nach seinem Knotenauflosenden Besuch in der Südheide.

Was dürfen die Menschen in der aus unser heutigen Sicht als strukturschwach geltenden Region vom neuen Jahrtausend erwarten? Worauf setzen andere Landstriche in Ost und West? Nur zwei herausragende Beispiele: Im Ruhrgebiet gehen die Lichter wieder an. Das krisengeschüttelte Revier entdeckt sich selber neu - als Kulturraum, Erlebnispark und Zukunftswerkstatt. Und das möglicherweise am weitesten noch vorn zeigende Einzelprojekt in den neuen Bundesländern steht inmitten der Mondlandschaft bei Bitterfeld in einem Braunkohlekrater. Von "Ferropolis' - Stadt aus Eisen & Industrielles Gartenreich - wird im Expo-Jahr 2000 die ganze Welt sprechen.

Auch vor unserer Haustür - beginnend am Scharnhorster Berg - ließe sich eine Utopie mit Leben erfüllen, entwickelt nach dem ICE-Unglück vom 3. Juni 1998 als Wettbewerbsbeitrag zur geplanten Gedenkstätte, und längst nicht mehr namenlos:

"Der Garten Eschede". Schöne Aussichten!

Klaus Drögemüller
Projektbüro Magische Orte